Unterwegs Drei Mitarbeitende, drei Arbeitswege

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Maire Spinner schaut auf die Anzeigetafel der Haltestelle „Herne Mitte“. In zwei Minuten kommt der Bus. Zur gleichen Zeit packt Timo Steinbeck die letzte von mehreren großen Kisten in den Kofferraum seines Autos. Dann ist er startklar für die Fahrt nach Espelkamp. Marina Wilmanowsky ist in der Zwischenzeit schon unterwegs. Gerade biegt sie mit ihrem Rad im Kreisverkehr nahe des Gronauer Rock’n‘Popmuseum ab. Just in diesem Moment öffnen sich in Herne die Bustüren für Maire Spinner.

Timo Steinbeck, Marina Wilmanowsky und Maire Spinner unterstützen Menschen mit Beeinträchtigung ambulant. Allerdings an unterschiedlichen Standorten des Wittekindshofes. Das hat Einfluss auf die Wahl ihres Fortbewegungsmittels.

Ihre Termine erledigt Maire Spinner mit Bus, Bahn oder zu Fuß. „Das schont die Umwelt. Außerdem spiegelt es die Lebenswelt vieler Menschen wider, die ich begleite.“ Die studierte Sozialarbeiterin ist im ambulanten Team in Herne tätig. Dort unterstützt die Bochumerin elf Menschen mit zumeist psychischer Beeinträchtigung, die in einer eigenen Wohnung leben. „Keiner von ihnen hat ein Auto. Sie müssen ihren Lebensalltag ebenfalls zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bestreiten“, sagt sie während sie in einer Sitzreihe platznimmt. Stehe etwa ein Termin beim Arzt an, fahre sie gemeinsam mit den Männern und Frauen Bus und Bahn. „Ich bin kein Fahrdienst, meine Aufgabe ist es, die Menschen dabei zu unterstützen, so selbstständig wie möglich zu leben – und da gehört Busfahren dazu“, fasst Maire Spinner zusammen.

Ihre Arbeit in der 150.000 Einwohner großen Stadt im Ruhrgebiet könne sie problemlos ohne Auto erledigen. „Von einem Ende zum anderen brauche ich mit dem Bus etwa 40 Minuten, das geht mit dem Auto auch nicht viel schneller. Und dann kommt noch die Parkplatzsuche dazu“, sagt Maire Spinner und blickt auf ihr Diensthandy. Es haben sich einige Mails angesammelt, die sie während der Fahrt bearbeitet. „Der Bus ist ein bisschen zu meinem Büro geworden“, sagt sie und lacht. Sensible Telefonate führe sie natürlich nicht im Bus, aber die Vor- und Nachbereitung von Terminen sowie die Dokumentation könne sie ebenfalls via Smartphone erledigen.

Maire Spinner wirft einen kurzen Blick aus dem Fenster, dann drückt sie den Knopf, der dem Fahrer signalisiert, an der nächsten Haltestelle zu stoppen.

Zum Stoppen kommt derweil auch das Auto von Timo Steinbeck. Er setzt den Blinker, wartet darauf, dass der vorfahrtsberechtigte Verkehr abfließt, dann verlässt er das Gründungsgelände der Stiftung in Volmerdingsen. Hoch geht es durch die Serpentinen über das Wiehengebirge. „Die Strecke fahre ich fast täglich“, sagt der studierte Sozialpädagoge.

Timo Steinbeck ist Teil des achtköpfigen Teams der Wittekindshofer Autismusambulanz in Ostwestfalen. Das Team unterstützt Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Autismus-Spektrum. „Wir machen häufig Vor-Ort-Termine, fahren zu den Menschen nach Hause, in die Kita oder in die Schule. Dementsprechend verbringe ich sehr viel Zeit im Auto“, sagt Timo Steinbeck und biegt in eine Wohnsiedlung ab. „Dabei ist es wichtig, dass ich mobil flexibel und vor allem pünktlich bin. Klare Abläufe und Verlässlichkeit sind in der Arbeit mit Menschen im Autismus-Spektrum enorm wichtig“, betont er. Deshalb kennt Timo Steinbeck nicht nur verschiedene Schleichwege, sondern auch viele der aktuellen Baustellen in den Kreisen Minden-Lübbecke und Herford.

An diesem Tag besucht er mehrere Klientinnen und Klienten in Espelkamp. Für jeden Termin hat er eine Kiste mit individuellen Fördermaterialen und Spielen zusammengestellt, die er jetzt wieder aus dem Kofferraum hervorholt. „Ohne Auto könnte ich die Lernmappen, Spiele, das Tablet und all die anderen Materialen nicht transportieren. Ich versuche die Termine so zu legen, dass die Wege dazwischen möglichst kurz sind und ich nicht mehrmals über den Berg fahren muss. Meine weiteste Strecke beträgt 50 Kilometer“, sagt Timo Steinbeck und geht auf die Einfahrt eines Hauses zu.

Ein prüfender Blick auf die Armbanduhr verrät: Er ist pünktlich.

Sorgfältig schließt Marina Wilmanowsky ihr Fahrrad ab, ehe sie den Eingangsbereich eines Mehrfamilienhauses betritt. Sie legt während der Arbeit täglich bis zu 40 Kilometer mit dem Rad zurück. In Gronau und in den angrenzenden Niederlanden gebe es die idealen Voraussetzungen dafür. „Flaches Land und viele Radwege. Wobei wir uns in Deutschland in Sachen Fahrradfreundlichkeit von unseren Nachbarn noch einiges abschauen können“, setzt sie hinzu.

Marina Wilmanowsky ist im ambulanten Team in Gronau tätig und daher bei den Klienten und Klientinnen vor Ort. Ihr sei es ein Anliegen, die Menschen, die sie unterstützt, zu mehr Bewegung zu animieren. „Das fördert zum einen die Gesundheit, zum anderen gibt es den Männern und Frauen die Möglichkeit, ihre Umgebung zu entdecken und anders wahrzunehmen“, hat Marina Wilmanowsky festgestellt. Dafür tauscht sie dann auch mal ihr eigenes Fahrrad gegen ein Tandem ein. „Dieses Rad können auch Menschen nutzen, die nicht mehr alleine fahren können. Dabei sitzt man nebeneinander und beide können in die Pedale treten.“

Seit mehr als zwei Jahren nutzt sie ein Job-Rad, das von der Stiftung geleast und ihr zur Verfügung gestellt wird. „Es ist ein E-Bike, das ich sowohl für die Arbeit als auch privat nutzen kann“, sagt die gelernte Familienpflegerin, die in ihrer Freizeit gerne sportlich unterwegs ist. Umso mehr habe sie die Herausforderung gereizt, beim Stadtradeln der Stadt Gronau mitzumachen. „Der Wittekindshof nimmt immer als Team teil, und ich habe mir das Ziel gesetzt, die 1000-Kilometer-Marke in den drei Wochen zu knacken.“ Dieses Ziel hat Marina Wilmanowsky bereits zum zweiten Mal in Folge deutlich überschritten. 2023 legte sie im Mai mehr als 1450 Kilometer mit dem Rad zurück. „Wenn ich nicht bei der Arbeit war, war ich auf dem Rad“, sagt sie und lacht.